Würmer, wollt Ihr ewig leben?
Erschienen in
"MEDICINE & BEAUTY" 2001

Man ist in der Medizin der ewigen Jugend hart auf den Fersen, zumindest,
was die Fadenwürmer anbelangt.
Der amerikanischen Biologin Cynthia Kenyon (45) gelang es, die Lebenserwartung
der Winzlinge durch einen simplen gentechnischen Eingriffe glatt zu verdoppeln.
Sie werden jetzt statt 13 sensationelle 26 Tage alt!
Zwar verfügt der Fadenwurm nur über 949 Zellen, etwas weniger also
als ein Mensch, aber Leben ist Leben, oder?
Gebt nicht auf, ihr Forscher, auch ich will statt meiner mir statistisch
zu gedachten 78 Jahre lieber 156 Lenze auf dieser schönen Welt verbringen.
Ich werde dann über 90 Jahre lang als Rentnerin mein wohlverdientes Altenteil
verzehren, die Winter in Mallorca, die Sommer an Nordsee oder Ostsee verweilen,
Batik- und Töpferkurse in der Toscana belegen, in Wörrishofen oder
so kuren
Was willst du 90 Jahre auf Mallorca, wirft Karl-Hugo, mein Mann ein, der
die Unart hat, auf dem Bildschirm Textfragmente mitzulesen. Ok, vielleicht
hängt mir Mallorca nach dem 27. Dreimonatsaufenthalt zum Hals heraus,
vielleicht kriege ich nach dem 14. Töpferkurs Ausschlag beim Anblick
von Ton aber die Welt ist groß und wurde nicht an einem Tag erschaffen.
(Wie es funktionieren soll, dass wir wesentlich länger Rentner sind,
als dass wir im Erwerbsleben stehen, das werden die Politiker schon richten
sie arbeiten ja bereits seit 30 Jahren an dieser Frage.)
Karl-Hugo, das ist natürlich klar, würde immerhin 148 Jahre alt,
was ich ihm von Herzen gönne, allerdings wären wir dann noch über
100 Jahre lang verheiratet, ich müsste noch über 365 000 mal
seine gebrauchten Socken vom Schlafzimmer in die Schmutzwäschetonne befördern
und sagen: kannstdudeineSockennichtmalendlich und als Antwort hören:
kannstdudieZahnpastatubenichtmalendlich. Na gut. Leute können zukünftig
nahezu ewig verheiratet sein, und man müsste neue Bezeichnungen
kreieren für bisher nicht gekannte Art von Jubiläen, etwa für
den 100. Hochzeitstag "Sockene Hochzeit" und "Zahnpastane Hochzeit"
für den 125.
Das lässt sich alles regeln, etwas anderes wird schwieriger. Männer
sind beim Altern den Frauen gegenüber dadurch im Vorteil, dass jemand,
der eine Glatze hat, nicht weiter Haare verlieren kann. Stattdessen kann der
Mann sogar einen Schildkrötenhals und Mundfalten mit Bartwuchs kaschieren.
Da er keinen Busen hat, kann dieser auch nicht hängen. Zwar gerät
das Problem der so genannten Hängehoden immer mehr ins Blickfeld, hierzu
muss ich jedoch einwerfen, dass Hoden in der Regel kleiner sind als Brüste.
Die Fadenwürmer (weiß auch nicht, wie ich jetzt wieder darauf
komme) leben länger, und was wirklich sensationell ist, sie altern
dabei nicht sichtlich. Das ist aber, so meinen alle Forscher, auf den Menschen
nicht so zu übertragen, denn wenn ich das richtig verstehe ein Fadenwurm
ist ganz klein und leicht und liegt sein Leben lang nur herum. Die Schwerkraft
wirkt also ganz wenig und ganz gleichmäßig auf sein zierliches
Körperchen ein. Er kann also nicht schlaff irgendwo herunter hängen.
Würde der Fadenwurm stehen, wäre er nach 10 Tagen wahrscheinlich
bereits etwas gekrümmt, und würde eine Art Rettungsringe in der
unteren Hälfte ausbilden. Nach 20 Tagen müsste man ihm ein kleines
Stöckchen reichen, um das er sich mit letzter Kraft und der Hilfe von
jüngeren Würmern windet. Ich erspare mir den Hinweis darauf, dass
Fadenwürmer natürlich auch keine Bandscheiben oder Kniegelenke haben.
Sie rauchen nicht, und ihr Alkohol- und Cholesterinkonsum ist allenfalls mäßig.
Insbesondere haben Fadenwürmer jedoch kein Kinn, keine Haare, keine Brüste,
keine Tränensäcke und und und kurz gesagt: Sie liegen erstens
nur herum und haben zweitens nichts, was großartig altern könnte.
Wenn der Mensch jedoch doppelt so alt wird, ist er auch doppelt so lange
alt, verstehen Sie?! Wenn ich also einmal 130 bin, werde ich wahrscheinlich
nicht mehr wie achtzig aussehen. Und selbst wenn: Ich werde dann siebzig Jahre
lang wie achtzig aussehen (oder vielleicht achtzig Jahre lang wie siebzig).
Will ich das?
In welche Tiefen können Busen und Kinnlappen im Laufe von 150 Jahren
wandern? Was tun, wenn irgendwann die Augen an die Ohren und die Brauen an
den Haaransatz geliftet sind? Wird aus einem Bauchnabel besser ein Kinn- oder
ein Kniegrübchen??? Und: Wer ist noch fit genug, meinen Rollstuhl zu
schieben?
Wer stellt die Fragen, wer kennt die Antworten? Wenn ich mir das alles so
überlege, muss ich ausrufen: Dr. Kenyon, hören Sie auf! Lassen Sie
besser diese Wurmsache sein, und machen Sie bei dem Klonen von Dolly mit.
Aber, bitte bitte: Dolly II weiß ja anscheinend nichts von Dolly I,
denn es kommt völlig ahnungslos auf die Welt und muss erst mal selbst
Bittersenf oder so was fressen, dann entsetzlich kotzen, um zu lernen, dass
Bittersenf nichts ist. Und all die anderen bitteren Erfahrungen
Nein, Dolly II soll nicht nur aussehen wie Dolly I, sondern auch alles wissen,
was Dolly I sich mühsamst angeeignet hat. Mein Ego II will doch nicht
wieder jahrelang vergeblich lateinische Vokabeln und seltsame mathematische
Formeln lernen. Und es erst mit 37 Jahren raffen, dass auch blonde Männer
ganz nett sein können
So gesehen muss man, was den Forschungsansatz betrifft, an eine Kombination
aus Würmer-Unsterblich-Machen und Schaf-Klonen denken. Dann werden irgendwann
alle Frauen wie Naomi, Claudia oder Nadja aussehen, alle Männer wie Denzel,
Brad oder Johnny. Sie werden alle die Werke von Goethe, Shakespeare, Einstein
und Gates kennen, sich unentwegt jeweils 150 Jahre lang begeistert anstarren
und übereinstimmend mit ihren schönen, klugen Köpfen nicken.
Und irgendwann weiß natürlich keiner mehr, warum es toll ist, wie
Naomi, Claudia oder Nadja bzw. Denzel, Brad oder Johnny auszusehen, denn alle
sehen ja so aus.
Und dann wird aus Versehen jemand in einer Ecke der Welt geboren, der hat
einen Höcker auf der Nase, die bei allen anderen langweilig gleich und
gerade ist, und der zieht dann alle Augen bewundernd auf sich
Das wäre es doch
Ihre Gisela Finke
PS.: Meine Freundin Verena, die zur Gattung der
unerschütterten Positivdenker
gehört, meinte zum Problem, was die doppelt so alte und ergo doppelt
so große Menschheit denn essen sollte, wo es heute schon knapp ist,
dass das doch überhaupt keine Frage wäre. Weil, die Schweine und
Hähnchen würden dann ja auch viel älter werden
|