Würmer, wollt Ihr ewig leben?

Man ist in der Medizin der ewigen Jugend hart auf den Fersen, zumindest, was die Fadenwürmer anbelangt.

Der amerikanischen Biologin Cynthia Kenyon (45) gelang es, die Lebenserwartung der Winzlinge durch einen simplen gentechnischen Eingriffe glatt zu verdoppeln. Sie werden jetzt statt 13 sensationelle 26 Tage alt!

Zwar verfügt der Fadenwurm nur über 949 Zellen, etwas weniger also als ein Mensch, aber Leben ist Leben, oder?

Gebt nicht auf, ihr Forscher, auch ich will statt meiner mir statistisch zu gedachten 78 Jahre lieber 156 Lenze auf dieser schönen Welt verbringen. Ich werde dann über 90 Jahre lang als Rentnerin mein wohlverdientes Altenteil verzehren, die Winter in Mallorca, die Sommer an Nordsee oder Ostsee verweilen, Batik- und Töpferkurse in der Toscana belegen, in Wörrishofen oder so kuren…

Was willst du 90 Jahre auf Mallorca, wirft Karl-Hugo, mein Mann ein, der die Unart hat, auf dem Bildschirm Textfragmente mitzulesen. Ok, vielleicht hängt mir Mallorca nach dem 27. Dreimonatsaufenthalt zum Hals heraus, vielleicht kriege ich nach dem 14. Töpferkurs Ausschlag beim Anblick von Ton – aber die Welt ist groß und wurde nicht an einem Tag erschaffen. (Wie es funktionieren soll, dass wir wesentlich länger Rentner sind, als dass wir im Erwerbsleben stehen, das werden die Politiker schon richten – sie arbeiten ja bereits seit 30 Jahren an dieser Frage.)

Karl-Hugo, das ist natürlich klar, würde immerhin 148 Jahre alt, was ich ihm von Herzen gönne, allerdings wären wir dann noch über 100 Jahre lang verheiratet, ich müsste noch über 365 000 mal seine gebrauchten Socken vom Schlafzimmer in die Schmutzwäschetonne befördern und sagen: kannstdudeineSockennichtmalendlich und als Antwort hören: kannstdudieZahnpastatubenichtmalendlich. Na gut. Leute können zukünftig nahezu ewig verheiratet sein, und man müsste neue Bezeichnungen kreieren für bisher nicht gekannte Art von Jubiläen, etwa für den 100. Hochzeitstag "Sockene Hochzeit" und "Zahnpastane Hochzeit" für den 125.

Das lässt sich alles regeln, etwas anderes wird schwieriger. Männer sind beim Altern den Frauen gegenüber dadurch im Vorteil, dass jemand, der eine Glatze hat, nicht weiter Haare verlieren kann. Stattdessen kann der Mann sogar einen Schildkrötenhals und Mundfalten mit Bartwuchs kaschieren. Da er keinen Busen hat, kann dieser auch nicht hängen. Zwar gerät das Problem der so genannten Hängehoden immer mehr ins Blickfeld, hierzu muss ich jedoch einwerfen, dass Hoden in der Regel kleiner sind als Brüste.

Die Fadenwürmer (weiß auch nicht, wie ich jetzt wieder darauf komme) leben länger, und – was wirklich sensationell ist, sie altern dabei nicht sichtlich. Das ist aber, so meinen alle Forscher, auf den Menschen nicht so zu übertragen, denn – wenn ich das richtig verstehe – ein Fadenwurm ist ganz klein und leicht und liegt sein Leben lang nur herum. Die Schwerkraft wirkt also ganz wenig und ganz gleichmäßig auf sein zierliches Körperchen ein. Er kann also nicht schlaff irgendwo herunter hängen. Würde der Fadenwurm stehen, wäre er nach 10 Tagen wahrscheinlich bereits etwas gekrümmt, und würde eine Art Rettungsringe in der unteren Hälfte ausbilden. Nach 20 Tagen müsste man ihm ein kleines Stöckchen reichen, um das er sich mit letzter Kraft und der Hilfe von jüngeren Würmern windet. Ich erspare mir den Hinweis darauf, dass Fadenwürmer natürlich auch keine Bandscheiben oder Kniegelenke haben. Sie rauchen nicht, und ihr Alkohol- und Cholesterinkonsum ist allenfalls mäßig. Insbesondere haben Fadenwürmer jedoch kein Kinn, keine Haare, keine Brüste, keine Tränensäcke und und und – kurz gesagt: Sie liegen erstens nur herum und haben zweitens nichts, was großartig altern könnte.

Wenn der Mensch jedoch doppelt so alt wird, ist er auch doppelt so lange alt, verstehen Sie?! Wenn ich also einmal 130 bin, werde ich wahrscheinlich nicht mehr wie achtzig aussehen. Und selbst wenn: Ich werde dann siebzig Jahre lang wie achtzig aussehen (oder vielleicht achtzig Jahre lang wie siebzig). Will ich das?

In welche Tiefen können Busen und Kinnlappen im Laufe von 150 Jahren wandern? Was tun, wenn irgendwann die Augen an die Ohren und die Brauen an den Haaransatz geliftet sind? Wird aus einem Bauchnabel besser ein Kinn- oder ein Kniegrübchen??? Und: Wer ist noch fit genug, meinen Rollstuhl zu schieben?

Wer stellt die Fragen, wer kennt die Antworten? Wenn ich mir das alles so überlege, muss ich ausrufen: Dr. Kenyon, hören Sie auf! Lassen Sie besser diese Wurmsache sein, und machen Sie bei dem Klonen von Dolly mit. Aber, bitte bitte: Dolly II weiß ja anscheinend nichts von Dolly I, denn es kommt völlig ahnungslos auf die Welt und muss erst mal selbst Bittersenf oder so was fressen, dann entsetzlich kotzen, um zu lernen, dass Bittersenf nichts ist. Und all die anderen bitteren Erfahrungen…

Nein, Dolly II soll nicht nur aussehen wie Dolly I, sondern auch alles wissen, was Dolly I sich mühsamst angeeignet hat. Mein Ego II will doch nicht wieder jahrelang vergeblich lateinische Vokabeln und seltsame mathematische Formeln lernen. Und es erst mit 37 Jahren raffen, dass auch blonde Männer ganz nett sein können …

So gesehen muss man, was den Forschungsansatz betrifft, an eine Kombination aus Würmer-Unsterblich-Machen und Schaf-Klonen denken. Dann werden irgendwann alle Frauen wie Naomi, Claudia oder Nadja aussehen, alle Männer wie Denzel, Brad oder Johnny. Sie werden alle die Werke von Goethe, Shakespeare, Einstein und Gates kennen, sich unentwegt jeweils 150 Jahre lang begeistert anstarren und übereinstimmend mit ihren schönen, klugen Köpfen nicken. Und irgendwann weiß natürlich keiner mehr, warum es toll ist, wie Naomi, Claudia oder Nadja bzw. Denzel, Brad oder Johnny auszusehen, denn alle sehen ja so aus.

Und dann wird aus Versehen jemand in einer Ecke der Welt geboren, der hat einen Höcker auf der Nase, die bei allen anderen langweilig gleich und gerade ist, und der zieht dann alle Augen bewundernd auf sich…

Das wäre es doch…

Ihre Gisela Finke

PS.: Meine Freundin Verena, die zur Gattung der unerschütterten Positivdenker gehört, meinte zum Problem, was die doppelt so alte und ergo doppelt so große Menschheit denn essen sollte, wo es heute schon knapp ist, dass das doch überhaupt keine Frage wäre. Weil, die Schweine und Hähnchen würden dann ja auch viel älter werden…

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