Kahl oder nicht kahl?

 

Erschienen in "MEDICINE & BEAUTY" – Dezember 2000

 

Um die Größe des Problems nur mal ANZUDEUTEN…

 

Bei den alten Römern galt der kahle Schädel als Zeichen der Weisheit und Würde.

Diese Sichtweise hielt sich ziemlich lange, was wohl damit zu tun hat, dass die Männer nicht schön sein mussten, denn sie hatten ja die Macht.

Mit dem Verlust der alleinigen Weltherrschaft wurde auch der Verlust der Haare zu einem Problem. Eine Zeit lang versuchte mann, Strähnen aus dem verbliebenen Restbestand abzuzweigen, und sie mittels eines Gels Haar neben Haar quer über die Platte zu kleben. Das sah allenfalls von weitem echt aus, und der Effekt verkehrte sich ins Gegenteil, wenn sich bei Wind oder durch unbedachte Handbewegungen Strähnen lösten und nun auf der falschen Seite schulterlang herunter hingen.

Dann kam das Toupet. Es gab da zum Beispiel den Immobilientycoon Sch., der bedeckte seine ausgedehnte Stirnglatze damit. Als seine Geschäfte aufflogen, er international gesucht, schließlich gefasst wurde, entschloss der Mann sich zur Ehrlichkeit, denn etwas anderes blieb ihm nicht übrig, und dazu gehörte auch, dass er das Haarteil ablegte. Er präsentierte der überraschten Öffentlichkeit, noch in einem Gefängnis in Florida einsitzend, sein nacktes Haupt umringelt mit einem grauweiß gelockten Haarkranz.

Sch. sah ohne Toupet besser als mit, dabei hatte er sich bestimmt ein hochwertiges Teil leisten können. Oft sieht der Haarersatz jedoch aus wie etwas, das man auf der Straße überfahren hat, insbesondere, wenn es nachts, womöglich neben dem Gebiss, auf einem Gestell auslüftet. Es war also an der Zeit, nach neuen Lösungen zu suchen.

Im selben Amerika, allerdings ist das etwas länger her, pflegten die Ureinwohner ihren besiegten Gegnern die Kopfhaut samt Haaren abzuziehen. Skalpieren nannte man das. Die Skalps waren sozusagen die ersten Echthaartoupets oder sogar Perücken; ob die Indianer sie getragen haben, ist nicht bekannt, aber unwahrscheinlich, denn ihnen fielen die Haare nicht aus.

Und diese Tradition des Skalpierens feiert jetzt neue Höhepunkte. Nur werden nicht andere ihrer Haarpracht beraubt, denn diese würde das Immunsystem des Kahlen (zum Glück für Leute mit vollem Haupthaar) abstoßen. Nein, nun werden an den Stellen, wo noch Haare sind, kleine Skalps ausgeschnitten (man nennt sie nun beschönigend "Grafts") und an den Stellen, wo keine Haare mehr sind, wieder eingestanzt. Die Haare wachsen dort an und fallen angeblich auch nicht mehr aus. Darauf muss sich der Kunde natürlich verlassen können.

Die Methode ist revolutionär, hat aber einen Nachteil: Mann muss noch Haare haben. Ist auch der Haarkranz schütter, stehen wir vor einem Umverteilungsproblem und auch hier gilt, dass der Kuchen nur einmal gegessen werden kann.

Wobei man sich ohne Probleme neue Frisuren vorstellen kann, die aus dem Mangel eine Tugend machen: So das Modell Irokese: Was sich Mitglieder bestimmter Subkulturen mühsam abscheren, entsteht hier dauerhaft durch gezielte Transplantation, indem der Haarkranz einfach diagonal über den Kopf verlegt wird. Er bleibt perfekt ohne zeitraubendes Rasieren Müssen der seitlichen Partien. Eine Frisur z. B. für den jung gebliebenen 68er.

Oder der Hahnenkamm: Eine einfache Variante des Irokesen. Der Haarkamm wird gezackt. Ein Outfit für den bekennenden Macho.

Strandhafer: Ganz natürlich über den Kopf verteilt wachsen, mal länger, mal kürzer, Haarinseln wie Strandhafer auf kahlen Dünen. Wie geschaffen für den naturverbundenen Öko-Mann.

Schließlich das Schachbrett: Es verteilen sich schachbrettartig behaarte und unbehaarte Quadrate über den Kopf. Diese Kreation betont die intellektuelle Note.

***

Der Fantasie sind eigentlich keine Grenzen gesetzt. Meist ist der natürliche Verlauf der Glatzenbildung jedoch so, dass sich im Laufe der Zeit auch der so genannte Haarkranz im wahrstem Sinne des Wortes verdünnisiert. Jetzt bleiben aber die transplantierten Haare stehen, und jemand hat dann bis zu den Ohren Haare, und ab da ist er kahl.

Werden dann nun wieder Haare von oben nach unten verpflanzt? Hatte der Betreffende einen schönen, dichten, buschigen Haarkranz, so könnte das eine Weile reichen.

Aber nun hat der Mann ja nicht nur auf dem Kopf Haare, sondern auch noch auf der Brust und so weiter. Diese fallen auch nicht aus, Karl-Hugo hat jedenfalls noch alle. Wenn also der Haarkranz weg ist, verpflanzt man kleine Skalps aus diesen unteren Körperregionen nach oben. Die mögen sich nun zwar kräuseln und in der Farbe und Länge abweichen – aber gut, färbt man sie halt ein, zieht sie glatt… geht doch alles.

Man könnte natürlich den Haarkranz gleich verschonen und sofort Haare von Stellen entnehmen, an denen man sie eigentlich nicht unbedingt braucht. Wenn ein Mann sowieso nur einen modernen Kurzhaarschnitt trägt, könnte man dafür Brust und Beine abernten. Das sollte jemand mal dem Agassi sagen.

Letztlich aber steht und fällt alles mit der Haltbarkeit. Ich hoffe, Karl-Hugo liest das jetzt hier nicht – ich kannte mal jemanden, bei dem löste sich zu meinem Entsetzen, als ich ihm in voller Ekstase in sein Haupthaar griff, mit einem leisen Plopp die ganze Matte. Sehr ab törnend.

Und geradezu traumatisch muss es sein, wenn frau plötzlich ihre Hände voller weicher Haarbüschel hat – und er jammert: Das waren zwei Sitzungen á zweitausend Mark, was hast du getan?! –

Da bin ich doch für nackte Tatsachen, auch wenn sie kahl sind.

P.S. Verena meinte kürzlich, ich hätte Haare auf den Zähnen. Vielleicht kann man die demnächst auch zu etwas gebrauchen?

 


 
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